Paul Fröhlich

Als 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig fungierte F. nicht nur als regionales Bindeglied im Zentralkomitee (ZK) bzw. Politbüro der SED, sondern zugleich als „Bezirksfürst“, der die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Leipzig nach Walter Ulbrichts Vorstellungen beeinflusste. Die persönliche Machtfülle, mit der F. ausgestattet war, hing dabei stets vom Wohlwollen des 1. Sekretärs der SED ab, den und dessen engeren Kreis er einzig als Kritiker seiner Person akzeptierte. Auch sein politischer Aufstieg, der in der Forschung oft als „relativ erstaunlich“ ( H. Amos) gewertet wird, war weniger dem Zufall geschuldet, sondern wurde vielmehr durch F.s bereitwillige Unterstützung der radikalen Personalpolitik der SED im Zuge ihrer Stalinisierung befördert. – Den größten Teil seiner Jugend verbrachte F. in Bottrop, wohin die Familie 1917 aus beruflichen Gründen umgesiedelt war und wo er 1929 eine Kochausbildung abschloss. Von den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise betroffen, führte ihn womöglich die Erfahrung der Arbeitslosigkeit in den Kommunistischen Jugendverband und mit Erlangung der Volljährigkeit in die KPD, während seine Eltern bis 1946 ohne Parteibindung blieben. – Nachdem die Familie nach Sachsen (Hohndorf bei Lichtenstein) zurückgekehrt war, arbeitete F. ab 1929 als Bergarbeiter in Oelsnitz/Erzgebirge. Wegen der Teilnahme an einem Streik wurde F. jedoch bereits zwei Jahre später fristlos entlassen. In den ersten beiden Jahren der nationalsozialistischen Diktatur knüpfte F. Kontakte zu einigen lokalen Widerstandsgruppen, übernahm dort aber keine herausragenden Funktionen. 1935 bis 1939 verdiente er sich seinen Unterhalt als Gelegenheitsarbeiter, bis er mit Kriegsbeginn als Feldkoch und Artilleriefunker an der Front eingesetzt wurde. 1944 desertierte er und flüchtete in die Schweiz, von wo aus er den amerikanischen Besatzungstruppen im April 1945 übergeben wurde. Nach kurzzeitiger amerikanischer Kriegsgefangenschaft begann seine Parteikarriere in der Ortsgruppe der KPD Remse. Dort beteiligte er sich im Auftrag der KPD/SED engagiert an der Durchführung der Bodenreform. Auf Vorschlag des Landesparteivorstands der SED Sachsen wurde er daher 1946 zum Sekretär für Parteischulung, Werbung, Kultur und Erziehung der SED-Kreisleitung Dresden berufen. Dort trat F. vordergründig durch agitatorische Fähigkeiten und unnachgiebiges Vorgehen bei den innerparteilichen „Säuberungswellen“ hervor, in deren Zuge v.a. ehemalige Sozialdemokraten und Westemigranten aus der Partei gedrängt wurden. Der Ausschluss zahlreicher erfahrener Parteifunktionäre, die vielfach Erfahrungen in Verwaltungs- und Staatsangelegenheiten aus der Weimarer Republik mitbrachten, wirkte sich destabilisierend auf die innere Organisation der Partei aus. Dies veranlasste sogar den altgedienten KPD-Funktionär und Kreisvorsitzenden der SED Dresden, Adalbert Hengst, im Frühjahr 1949 die Versetzung F.s in die Kreisleitung Bautzen zu bewirken. Dort wurde er zum 1. Sekretär berufen und anders als in Dresden begrüßte man in Bautzen (sorb. Budyšin) das kompromisslose Vorgehen F.s bei der „Entlarvung parteifeindlicher Elemente“. Eine handschriftliche Notiz aus dieser Phase kennzeichnet F. als „guten Proletentyp“. Die bereits im August 1950 erfolgte Versetzung an die Spitze der Kreisleitung Leipzig-Stadt war dagegen einem personalpolitischen Zufall geschuldet. Die kurzfristige Abberufung Hans Lauters ins ZK der SED ließ F. in die Position des 1. Sekretärs derjenigen Kreisleitung aufrücken, in der die „Säuberungsaktionen“ gegen den sog. Volkshauskreis schwerwiegende Organisationsprobleme hinterlassen hatten. Dort konnte F. seine Fähigkeiten ungehindert unter Beweis stellen. In der Landesleitung Sachsen der SED beobachtete man ihn aufgrund seines Verhaltens, „mangelnden organisatorischen Talentes“, offenkundiger Beschönigung von Lebensläufen und seiner Tätigkeit als Unteroffizier in der Wehrmacht zunehmend mit Misstrauen. Karl Schirdewan, der noch im März 1952 an die Spitze der SED-Landesparteiorganisation Sachsen getreten und der nach deren Auflösung zum 1. Sekretär der neugebildeten SED-Bezirksleitung Leipzig berufen worden war, beschrieb F. in seinen Erinnerungen als „intelligenzfeindlichen Radikalinski“. – Einmal mehr profitierte F. jedoch von der Umstrukturierung der SED. Der positive Eindruck, den er durch seine Parteiergebenheit in Berlin hinterlassen hatte, zugleich aber der plötzliche Abzug Schirdewans von der Position des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung Leipzig, bestimmten die Überlegungen der Parteiführung, F. noch im Dezember 1952 in diese Funktion nachfolgen zu lassen. Die gewaltsame Niederschlagung des Aufstands vom 17.6.1953 durch die Erteilung des Schießbefehls in Leipzig verschaffte ihm weitere Anerkennung bei Ulbricht, dessen Position sich im Nachgang der Ereignisse ebenfalls gefestigt hatte. Trotz wiederholter Mahnungen Schirdewans, der Kaderchef im ZK geworden war, rückte F. 1954 als Mitglied in die Reihen des ZK auf. Eine parteiinterne Untersuchung im selben Jahr, bei der Unregelmäßigkeiten und ideologische Schwächen in den Selbstauskünften F.s. festgestellt wurden, schadete seiner Karriere nun nicht mehr. 1958 wurde er auf dem 35. Plenum, das den Auftakt zu erneuten „Säuberungswellen“ bis in die obersten Reihen der Partei bildete und auch Schirdewan betraf, zum Sekretär des ZK sowie zum Kandidaten des Politbüros ernannt. 1963 erlangte er schließlich auch in diesem höchsten Gremium der SED die Mitgliedschaft. – Durch die Einbindung in die höchsten Zirkel der SED konnte F. in vielerlei Hinsicht eigene Akzente im Bezirk Leipzig setzen. Er demonstrierte stets seinen Machtanspruch in Ulbrichts Auftrag, wobei er seiner politischen Linientreue durch eine unnachgiebige Kaderpolitik im Bezirk Ausdruck verlieh. Zu seinen Gefolgsleuten in Leipzig zählten u.a. Fritz Beier und Erich Grützner, die lokale Schlüsselpositionen innehatten. Ersteren setzte er nach Festigung seiner Person 1954 trotz vorheriger Ablehnung im ZK als 1. Sekretär der SED-Stadtleitung durch. Letzteren ließ er anstelle von Karl Adolphs als Vorsitzenden des Rats des Bezirks einsetzen, nachdem er Adolphs im März 1959 wegen Planrückständen im Bezirk und persönlichen Differenzen aus der Position gedrängt hatte. Mit ähnlichen Machtmitteln griff F. immer wieder in die Belange ansässiger Betriebe ein. Auch beim Aufbau des Leipziger Stadtzentrums bewährte er sich als linientreuer Gefolgsmann Ulbrichts, indem er u.a. die Sprengung der Universitätskirche St. Pauli 1968 mit aller Entschlossenheit durchführen ließ. – Der Tod F.s durch Herz-Kreislaufversagen kam überraschend. Das inszenierte Staatsbegräbnis demonstriert den Stellenwert, den er bei der Staats- und Parteiführung bis zu seinem Tod besessen hatte. Auch im lokalen Gedächtnis wurde sein Name festgeschrieben, etwa durch die Umbenennungen des wichtigen Leipziger Export-Betriebes VEB Verlade- und Transportanlagen (VTA) und des NVA-Ausbildungszentrums Schneeberg. Zudem hatte F. im Verlauf seiner Karriere zahlreiche hohe Auszeichnungen erhalten, so etwa den Karl-Marx-Orden (1965), den Vaterländischen Verdienstorden in Silber (1956) und Gold (1969) sowie den Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland (1970).

Quellen Sächsisches Staatsarchiv – Staatsarchiv Leipzig, 21622 Nachlass Paul F., Nr. 1, 21123 SED-Bezirksleitung Leipzig, IV/2/1/22, Nr. 145; Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, DY 30/IV 2/11/v. 5299 (Kaderakte Paul F.).

Literatur K. Schirdewan, Ein Jahrhundert Leben. Erinnerungen und Visionen. Autobiographie, Berlin 1998, S. 240f.; H. Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, Köln/Weimar/Wien 1999; A. Malycha, Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung 1946-1953, Paderborn u.a. 2000; C. Kurzweg, Parteiherrschaft und Staatsapparat. Der Bezirk Leipzig 1945/52-1990, in: A. Graul/I. Grohmann (Hg.), Bewegte sächsische Region. Vom Leipziger Kreis zum Regierungsbezirk Leipzig 1547-2000, Halle/Saale 2001, S. 103-119; H. Amos, Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949-1963. Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZK-Apparat, Münster/Hamburg/London 2003, S. 535f.; O. Werner, Ein Jongleur der Macht. Paul F. und „sein“ Bezirk Leipzig in der DDR-Wirtschaftspolitik 1956 bis 1961, in: Deutschland Archiv 39/2006, H. 1, S. 68-77; M. Niemann, Die Sekretäre der SED-Bezirksleitungen 1952-1989, Paderborn u.a. 2007; C. Kurzweg/O. Werner, SED und Staatsapparat im Bezirk. Der Konflikt um den Rat des Bezirkes Leipzig 1958/59, in: M. Richter (Hg.), Länder, Gaue und Bezirke. Mitteldeutschland im 20. Jahrhundert, Halle/Saale 2007, S. 255-276. – DBA III; DBE 3, S. 503; H. Müller-Enbergs u.a. (Hg.), Wer war wer in der DDR?, Bd. 1, Berlin 52010, S. 353; M. Niemann/A. Herbst (Hg.), SED-Kader. Die mittlere Ebene. Biographisches Lexikon der Sekretäre der Landes- und Bezirksleitungen, der Ministerpräsidenten und der Vorsitzenden der Räte der Bezirke 1946 bis 1989, Paderborn u.a. 2010, S. 191f.

Porträt Paul F., Fotografie, Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 21622 Nachlass Paul F., Nr. 2.; Paul F., Rössing, R. & Rössing, R., 1951, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Christian Rau
1.7.2015


Empfohlene Zitierweise:
Christian Rau, Artikel: Paul Fröhlich,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/4455 [Zugriff 29.3.2024].

Paul Fröhlich



Quellen Sächsisches Staatsarchiv – Staatsarchiv Leipzig, 21622 Nachlass Paul F., Nr. 1, 21123 SED-Bezirksleitung Leipzig, IV/2/1/22, Nr. 145; Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, DY 30/IV 2/11/v. 5299 (Kaderakte Paul F.).

Literatur K. Schirdewan, Ein Jahrhundert Leben. Erinnerungen und Visionen. Autobiographie, Berlin 1998, S. 240f.; H. Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, Köln/Weimar/Wien 1999; A. Malycha, Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung 1946-1953, Paderborn u.a. 2000; C. Kurzweg, Parteiherrschaft und Staatsapparat. Der Bezirk Leipzig 1945/52-1990, in: A. Graul/I. Grohmann (Hg.), Bewegte sächsische Region. Vom Leipziger Kreis zum Regierungsbezirk Leipzig 1547-2000, Halle/Saale 2001, S. 103-119; H. Amos, Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949-1963. Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZK-Apparat, Münster/Hamburg/London 2003, S. 535f.; O. Werner, Ein Jongleur der Macht. Paul F. und „sein“ Bezirk Leipzig in der DDR-Wirtschaftspolitik 1956 bis 1961, in: Deutschland Archiv 39/2006, H. 1, S. 68-77; M. Niemann, Die Sekretäre der SED-Bezirksleitungen 1952-1989, Paderborn u.a. 2007; C. Kurzweg/O. Werner, SED und Staatsapparat im Bezirk. Der Konflikt um den Rat des Bezirkes Leipzig 1958/59, in: M. Richter (Hg.), Länder, Gaue und Bezirke. Mitteldeutschland im 20. Jahrhundert, Halle/Saale 2007, S. 255-276. – DBA III; DBE 3, S. 503; H. Müller-Enbergs u.a. (Hg.), Wer war wer in der DDR?, Bd. 1, Berlin 52010, S. 353; M. Niemann/A. Herbst (Hg.), SED-Kader. Die mittlere Ebene. Biographisches Lexikon der Sekretäre der Landes- und Bezirksleitungen, der Ministerpräsidenten und der Vorsitzenden der Räte der Bezirke 1946 bis 1989, Paderborn u.a. 2010, S. 191f.

Porträt Paul F., Fotografie, Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 21622 Nachlass Paul F., Nr. 2.; Paul F., Rössing, R. & Rössing, R., 1951, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Christian Rau
1.7.2015


Empfohlene Zitierweise:
Christian Rau, Artikel: Paul Fröhlich,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/4455 [Zugriff 29.3.2024].